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Alphabete von Menschen mit Behinderung

Das Barbier-Alphabet


Nachtschrift bzw. Sonographie des französischen Artilleriehauptmanns Charles Barbier

Sinn der von Charles Barbier de la Serre für militärische Zwecke um 1815 erfundenen "Nachtschrift" war es, Truppen-Befehle auch bei Dunkelheit schriftlich übermitteln zu können, ohne die eigene Stellung zu verraten. Sie sollten geschrieben und gelesen werden können, ohne ein Licht anzünden zu müssen.

Seine tastbaren Zeichen bestanden jeweils aus zwei senkrechten Reihen von ein bis sechs Punkten, die mittels einer einfachen Vorrichtung in Papier gedrückt wurden. Gelesen wurde, indem man das Blatt herumdrehte und die erhabenen Punkte ertastete.

'chiffrer dans le noir' in Nachtschrift

Barbier experimentierte mit einem Drei-, Elf- und einem Zwölfpunkte-System. Bei dem Zwölfpunkte-System, seiner späteren Nachtschrift (Ecriture nocturne), waren die möglichen 36 Zeichen französischen Lauten zugeordnet.


Barbier-Alphabet als Grafik
Barbier-Alphabet
          ---------- Tabelle Barbier-Alphabet: ----------
          Ziffern hinter dem P in Klammern sind belegte Punkte
          nach folgendem Schema (linke Spalte) (rechte Spalte):
            Zeile 1: [1] [1]
            Zeile 2: [2] [2]
            Zeile 3: [3] [3]
            Zeile 4: [4] [4]
            Zeile 5: [5] [5]
            Zeile 6: [6] [6]

          Laut 'a'   =  P1 + P1
          Laut 'i'   =  P1 + P12
          Laut 'o'   =  P1 + P123
          Laut 'u'   =  P1 + P1234
          Laut 'é'   =  P1 + P12345
          Laut 'è'   =  P1 + P123456

          Laut 'an'  =  P12 + P1
          Laut 'in'  =  P12 + P12
          Laut 'on'  =  P12 + P123
          Laut 'un'  =  P12 + P1234
          Laut 'eu'  =  P12 + P12345
          Laut 'ou'  =  P12 + P123456

          Laut 'b'   =  P123 + P1
          Laut 'd'   =  P123 + P12
          Laut 'g'   =  P123 + P123
          Laut 'j'   =  P123 + P1234
          Laut 'v'   =  P123 + P12345
          Laut 'z'   =  P123 + P123456

          Laut 'p'   =  P1234 + P1
          Laut 't'   =  P1234 + P12
          Laut 'q'   =  P1234 + P123
          Laut 'ch'  =  P1234 + P1234
          Laut 'f'   =  P1234 + P12345
          Laut 's'   =  P1234 + P123456

          Laut 'l'   =  P12345 + P1
          Laut 'm'   =  P12345 + P12
          Laut 'n'   =  P12345 + P123
          Laut 'r'   =  P12345 + P1234
          Laut 'gn'  =  P12345 + P12345
          Laut 'll'  =  P12345 + P123456

          Laut 'oi'  =  P123456 + P1
          Laut 'oin' =  P123456 + P12
          Laut 'ian' =  P123456 + P123
          Laut 'ien' =  P123456 + P1234
          Laut 'ion' =  P123456 + P12345
          Laut 'ieu' =  P123456 + P123456
          ------------- Ende Barbier-Alphabet ---------------
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die grafische Druck-Version des Barbier-Alphabets



Wie kam nun Barbier zu dieser Schrift?

Er entwickelte sie aus der damals üblichen Art, Nachrichten mit Hilfe einer Tabelle zu verschlüsseln. Die 36 möglichen Laute entsprachen je zwei Ziffern (1. Ziffer waagerecht = Zeile, 2. Ziffer senkrecht = Spalte). Durch die starke Reduzierung auf nur 36 Laute konnte die Sprache nur ungenau wiedergegeben werden, daher auch der Name Sonografie (Sound-Schrift).

Barbiers Codier-Tabelle (Beschreibung siehe barbier-code.txt)

Das vollständige französische Alphabet umfasst mit Umlauten an die 43 Buchstaben, die französische Schreibweise ist sehr kompliziert. Daher die Idee mit der Lautschrift.

1.) Umsetzung des Textes in Ziffern (codieren)

'chiffrer dans le noir' als Zahlencode 44(ch) 12(i) 45(f) 45(f) 54(r) 15(e) 54(r)   32(d) 21(an) 46(46)   51(l) 15(e)   53(n) 61(oi) 54(r)

2.) Darstellung der Ziffern als fühlbare Punkte

Zahlencode 44 12 45 45 54 15 54   32 21 46   51 15   53 61 54 in Punktereihen

Da aber zum Lesen und Schreiben seiner Nachtschrift kein Licht verwendet werden durfte, musste die Codiertabelle auswendig gelernt werden. Zum Problem der benutzten Lautschrift kam noch die praktische Schwierigkeit, dass  die teilweise langen Punkte-Reihen  mit den Fingern nur schwer zu erfassen  waren. Deshalb war seine Idee unter militärischen Bedingungen nicht praxis-tauglich, wodurch die Nachtschrift von Charles Barbier nie Bedeutung erlangte.

Original-Blatt mit Barbier-Alphabet

Vom Wert seiner Nachtschrift trotzdem überzeugt, unterbreitete sie Charles Barbier 1819 und 1820 dem Blindeninstitut in Paris, wodurch der junge Louis Braille damit in Berührung kam und sie für sich weiter entwickelte. Er ersetzte die Laute durch Buchstaben und reduzierte die bis zu 12 Punkte auf die bekannten sechs. Dadurch war Braille's Schrift von Blinden schnell erlernbar und konnte sich auch international durchsetzen.

Ein weiterer Vorteil der Brailleschrift gegenüber der Nachtschrift von Barbier war die Möglichkeit zur Darstellung von Ziffern und Satzzeichen, die bei einer Verschlüsselung von Nachrichten keine Rolle spielten, wohl aber für die Nutzung bei Mathematik oder hochgeistiger Literatur.


Braille- Alphabet als Grafik - zum Braille- Alphabet

Aber nicht nur Louis Braille wurde von der Nachtschrift des Charles Barbier inspiriert. Auch Alexander Faoó entwickelte seine Fakoo-Schrift aus der Idee heraus, eine Punktschrift für Blinde und Sehende mit nur 12 Punkten zu schaffen, allerdings im Raster von 3 × 4 Punkten. Durch weitere Versuche konnte die Punkteanzahl dann auf 9 reduziert werden (siehe Fakoo). Text 'DIE ALTERNATIVE ZU BRAILLE' in Fakoo auf einer Braillezeile


Direkter Vergleich der Schriften Barbier, Fakoo und Moon:
'Chiffrer dans le noir' in Barbier, Fakoo und Moon